Vom Zu- und Schwerfallen

Heinz Stahlhut
Betrachtungen zum Werk von Andre Aebi

Betrachtet man das Schaffen von Andre Aebi, so fällt auf, dass seine in den bisher fünf Jahrzehnten geschaffenen Werke ausgesprochen vielfältig sind und sich kaum auf einen Nenner bringen zu lassen scheinen: Nicht allein hat er sich der Medien Malerei, Zeichnung und Photographie auf verschiedenste Weise bedient; vielmehr hat er im grossen wie kleinen Format, gegenständlich und abstrakt und auf der Grenze zwischen den beiden Ausdrucksformen gearbeitet. So hat er zahlreiche gestische Zeichnungen von aus blossen Strichen in Blau und Rot aufgebauten, heftig bewegten Figuren geschaffen und diese auf anderen grossformatigen Blättern in abstrakte Zeichen überführt. Die Abstraktion ihrerseits hat er bis in die experimentelle Malerei getrieben. So entstanden jüngst und schon in den 1990er-Jahren Farbschichtungen, die beidseitig auf transparentem Papier ausgeführt wurden, sodass die Malereien auf beiden Seiten sich gegenseitig ergänzen. Die Schichtungen der 1990er-Jahre hingegen wurden nach dem Trocknen teilweise abgeschliffen und damit unter der Oberfläche liegende Schichten freigelegt. In beiden Fällen konnte der Künstler nicht voraussehen, wie sich das Werk entwickeln würde, sondern konnte sich von ihm überraschen lassen. Dieses Spiel mit dem unvorhersehbaren Spiel des Zufalls ist ein erstes zentrales Merkmal von Aebis Schaffen.

Körper als zentrales Element

Als zweites Element von Aebis Werk lässt sich der Körper ausmachen. Mit ihm hat sich der Künstler - wie schon in den erwähnten gestischen Malereien tanzender Figuren - immer beschäftigt.

So bildet der Körper das Motiv in den zahlreichen Porträts seit den 1970er- bis in die 1990er-Jahre in den Gattungen Zeichnung und Photographie. Besonders hervorzuheben ist hier die Photographie-Aktion mit Freundinnen und Freunden bei einem abendlichen Essen. Hier verfolgte der Künstler mit einer Schlauchkamera die Handlungen der Essenden. Das aussergewöhnliche Aufnahmegerät ermöglichte dabei nicht nur ein nahes Herangehen an das Dargestellte, sondern verwies durch die Herkunft aus der Intestinalmedizin darauf, dass die künstlerische Erforschung des Essvorgangs zumindest konzeptuell nicht vor den Körperöffnungen halt machte, sondern neben der äusseren Erscheinung des Körpers auch sein Inneres mitdachte.1

Besonders in den Blick genommen wurde der Körper auch mit den Handstudien der 1980er- und 1990er-Jahre. Die Hommage an eine charakteristische Bildgattung des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida (1924-2002) war überdies eine Annäherung an den eigenen Körper und die Aussagekraft seiner Haltungen und Bewegungen. Dadurch wurde zugleich das Eingebundensein des Individuums in sein Umfeld thematisiert: Unser Körper ist nie nur Handelnder, sondern auch Objekt von Blicken und Reaktionen.

Opulent wird die Körperlichkeit schliesslich in den ruhenden und tanzenden Figuren vorgeführt. Bei diesem wiederkehrenden Motiv wird deren Geschlechtlichkeit und sexuelle Erregung durchaus sichtbar gemacht (05 Figurenreihe: blaue Figurenreihe). Die Intensität und Erregung wird hier durch die Verwendung des „groben“ Flachmalerpinsels noch gesteigert.

Pikturale Gesten

Wie schon bei den tanzenden Figuren herrscht auch sonst im Werk von Aebi die gestische Malerei und damit der teilweise kraftvolle Körpereinsatz vor: Schon allein die mehrfache Verwendung von Leinöl auf Papier als Grundlage seiner Zeichnung zeigt, dass Aebi nicht an dem cleanen Weiss eines unberührten Papiers interessiert ist, sondern ihn gerade die amorphe, unvorhersehbare Ausdehnung des Ölflecks, die an die vitale Ausbreitung der Farbe in der gestischen Malerei erinnert, als Anregung für seine Malerei und Zeichnung reizt.

Die teils weit ausgreifende, malerische Geste kennzeichnet sowohl die experimentellen Malereien auf doppelseitig bearbeiteten, grossen Blättern, bei denen die Farben geschichtet werden, als auch die Aquarelle (06: Zeichnungen von 1990 bis 2022). Exemplarisch für die gestische Kreation sind die rhythmischen Zeichnungen zu klassischer Musik wie der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, aber auch zu Jazz oder Rock wie Talking Heads. Neben den ausgreifenden Gesten experimentiert der Künstler aber auch damit, das Format als bewusste Beschränkung des Farbschwungs zu akzeptieren. So führte er eine Gruppe von Zeichnungen auf Karteikarten einer Firma aus Frankendorf, BL, aus, bei denen das kleine Format zum Ausgangspunkt der zeichnerischen Reaktion genommen wird; ebenso wird bei den blauen und roten Figurenmalereien die Gestalt jeweils dem Querformat des Blattes eng eingeschrieben. Aebi setzte diese gestische Technik - wie die Zeugnisse seiner Studierenden zeigen - auch erfolgreich bei seinen Kursen für die Weiterbildung Textildesign HF und in der Berufslehre Polygraphie an der Schule für Gestaltung Basel ein.

Grenzen des Körpers

Ist in manchen Arbeiten das Format des Bildträgers die Grenze der Malerei und Zeichnung, so bildet in vielen Arbeiten des Künstlers der eigene Körper den grundsätzlichen Massstab: Beispielsweise schuf er grossformatige Kreiszeichnungen mit den Füssen oder mit Händen und Füssen auf Papier und im Sand. Dadurch wird die Ausdehnung der Extremitäten zum Mass für die zeichnerisch festgehaltenen Zirkelbewegungen. Das Ergebnis ist dadurch gleichermassen abstrakt wie höchst real als Zeugnis einer Performance.

Die eigenen Grenzen erkundet Aebi darüber hinaus immer wieder dadurch, dass er als Rechtshänder bewusst auch die linke Hand einsetzt. Damit setzt er sich gezielt Schwierigkeiten aus, die von der täglichen Routine abweichen, um andere Hirnregionen zu aktivieren, sich neuen Herausforderungen zu stellen und so unerwartete Ergebnisse zu erzielen. Ist auch dies seit der konzeptuellen und körperbetonten Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre eine anerkannte Strategie2, so erstaunt dieser explizite Einsatz des Körpers in der Kunst von Andre Aebi wiederum nicht. Denn der Künstler hat neben der Lehre gewissermassen als drittes Standbein die therapeutische Körperarbeit mit der Feldenkrais-Methode. Die drei Stränge in Aebis Tun dürften sich gegenseitig intensiv befruchten.

1. Die Kamera nah an oder gar in den Körper zu führen, war eine zentrale Strategie der feministischen Medienkunst, um mit der bisherigen distanzierten, voyeuristischen Kameraperspektive zu brechen, s. Mona Hatoums Aktion Don't Smile, You're on Camera! von 1980.

2. Als Beispiel sind die doppelhändigen Schnellzeichnungen des Schweizer Künstlers Dieter Roth (1930-1998) seit den 1970er-Jahren zu nennen.